Abdelaziz Baraka Sakin: Der Rabe, der mich liebte

Abdelaziz Baraka Sakin: Der Rabe, der mich liebte

Roman
Aus dem Arabischen von Larissa Bender

Klingenberg Verlag 2024

Das Buch erzählt die Geschichte von Adam Ingliz, einem jungen sudanesischen Philologen, der davon träumt, in Großbritannien zu promovieren und dort als Professor für Sprachwissenschaft zu unterrichten. Nach zahlreichen abgelehnten Stipendienanträgen macht er sich mit einem Freund und Kommilitonen auf eigene Faust auf den ›Ameisenweg‹. In Großbritannien wird Adam Ingliz jedoch nie ankommen.

Mit viel Empathie, Liebe und einem guten Schuss Humor für seine Figuren führt Abdelaziz Baraka Sakin die Leser:innen in die sudanesische Community in Europa ein und berichtet über  unmenschliche bürokratische Hürden, die Menschen daran hindern, ihren Traum von einem Leben in Würde zu verwirklichen. Wer dieses Buch gelesen hat, blickt mit anderen Augen auf die vielen geflüchteten Menschen, insbesondere aus afrikanischen Staaten, denn ein jeder von ihnen könnte ein zweiter Adam Ingliz sein.

Bücheratlas.com September 2024

Unter Flüchtlingen im Dschungel von Calais: Abdelaziz Baraka Sakins Roman „Der Rabe, der mich liebte“ ist eine faszinierende Innenansicht der Migration

Adam Saad Saadan kennt nur ein Ziel: England. Der Sudanese will ins Exil nach Oxford, um dort Professor für Sprachwissenschaft zu werden. Für ihn zählt kein anderes Land in Europa. Wann immer dem Flüchtling vorgeschlagen wird, es mit einem Asylantrag in Österreich, Frankreich oder Deutschland zu versuchen, erwidert er jedes Mal: „Ingliz“. Klar, dass damit England gemeint ist. Und so wird der Held in Abdelaziz Baraka Sakins Roman „Der Rabe, der mich liebte“ bald nur noch Adam Ingliz genannt.
Ein Sudanese in Graz

Der Autor selbst wurde 1963 in Kassala im Sudan geboren. Er hat 2012 das Land verlassen, als er dort des Lebens nicht mehr sicher war. In seinen Büchern äußert er sich kritisch zur desolaten, von Korruption und Gewalt geprägten Situation seiner Heimat. Mehr als zehn Romane hat er bereits veröffentlicht. Auf Deutsch lag bislang – abgesehen von dem einen oder anderen kürzeren Text – nur „Der Messias aus Darfur“ vor, der 2021 in der Edition Orient erschienen ist. Darin schildert er den Bürgerkrieg und den Terror der Söldnertruppe „Djandjawid“, beleuchtet er Zwangsrekrutierung und Vergewaltigung. Das ist nicht das, was die Machthaber in der Hauptstadt Khartum als Lektüre empfehlen. Sie ziehen es vor, Abdelaziz Baraka Sakins Bücher zu verbieten.

Zu den Auszeichnungen, die der Autor mittlerweile erhalten hat, gehört auch das Amt des Grazers Stadtschreibers im Jahre 2022/2023. Während dieser Zeit ist der Roman „Der Rabe, der mich liebte“ entstanden. Das ist ein starkes Stück – voller Poesie und Leuchtkraft. Und erhellend ist es obendrein. Denn die Geschichte, die Larissa Bender aus dem Arabischen übertragen hat, bietet die Innenansicht einer so nahen wie fernen Welt.

Heißluftballon über dem Ärmelkanal

Abdelaziz Baraka Sakin nimmt uns mit auf dem „Ameisenweg“, den die sudanesischen Flüchtlinge einschlagen. In diesem Fall führt der Weg der Jugendfreunde Adam Ingliz und Al-Nur zunächst nach Österreich. Ein Jahr haben sie für diese Strecke benötigt. Von dort geht es weiter nach Paris und schließlich in den „Dschungel von Calais“, der – wen es interessiert – unter diesem Stichwort einen langen Wikipedia-Beitrag hat.

In der Hafenstadt campieren jene, die über den Ärmelkanal nach Großbritannien wollen – per Schleuser im Boot oder versteckt unter einem Lastwagen durch den Eurotunnel. Für Adam Ingliz, den manche Ängste umtreiben, kommt weder die eine noch die andere Variante in Frage. Daher entscheidet er sich für eine Ballonfahrt mit seinem Landsmann Ibrahim Al-Nil. Doch noch ehe ihr Korb so recht an Höhe gewonnen hat, springt Adam Ingliz ins Meer. Das war Glück im Unglück, denn der Ballon lässt sich nicht lenken und stürzt in Belgien ab.

„Niemand kehrt aus freien Stücken zurück“

Dann freilich verliert Adam Ingliz mehr und mehr den Boden unter den Füßen. Woran man das erkennt? Nicht nur daran, dass er die Nähe von Raben sucht, die er verehrt und mit denen er spricht. Auch weil er sich eines Tages entschließt, zurück in den Sudan zu gehen: „Da waren wir alle überzeugt, dass der Mann verrückt war“, sagt einer der sudanesischen Migranten. „Ja, wir waren alle sicher, dass er verrückt war, denn niemand kehrt aus freien Stücken zu Fuß den Ameisenweg in sein Land zurück.“ Noch bis Graz kommt Adam Ingliz – alles weitere findet sich im Roman.

„Raketen“ nennen Sudanesen ihre Landsleute, die im Exil noch keine offizielle Aufenthaltsgenehmigung haben, die also in der Luft hängen zwischen Ursprungsort und Zielort. Welche Strapazen sie dabei auf sich nehmen, schildert dieser Roman anschaulich und ohne Umschweife.

„Rausch der Bürokratie“

Die Probleme mit der Polizei und den Behörden wirken nicht konfektioniert, sondern überzeugen mit individuellen Akzenten. Im Krankenhaus, lesen wir, werden nur jene behandelt, die versichert seien: „Sie sagen es äußerst höflich und mit einer ausführlichen Erklärung, aber du kannst den Genuss hinter ihren Brillen aufblitzen sehen, den sie empfinden, diesen Rausch der Bürokratie, für die sie bezahlt werden und die Teil ihrer alltäglichen Arbeitsroutine ist.“

Andererseits werden ein paar illegale Tricks angeführt, mit denen die Flüchtlinge versuchen, ihre Lage zu verbessern. Ein Sudanese, der besonders ausgebufft ist, hat in verschiedenen französischen Städten Asyl beantragt und jedes Mal seinen Fingerabdruck abgeändert: „Jetzt bezieht er aus allen diesen Städten ein bisschen Geld.“ Auch kommt man offenbar zügig durch Europa, wenn man statt eines Tickets eine falsche Adresse angibt. Adam Ingliz bekennt lachend: „Manchmal muss der Mensch ein paar Sünden begehen, um Mensch zu bleiben.“

Die Liebe von Adam und Zahra

So schwergewichtig die Ereignisse in diesem Roman sind, so leichtfüßig und attraktiv wird davon erzählt. Eine Geschichte von Flucht und Freundschaft. Und von der Liebe zwischen Adam Ingliz und Zahra Farah. Im Zeltlager von Calais schleicht er Nacht für Nacht zu der Geliebten – auf dem Bauch kriechend vorbei an ihren schnarchenden Brüdern, mit denen nicht zu spaßen ist.

Die Odyssee auf dem Ameisenweg wird aus vielen Perspektiven erzählt. Allemal melden sich Zeuginnen und Zeugen zu Wort, die ein Herz für Adam Ingliz haben. Tatsächlich ist der Sudanese mit dem Oxford-Faible, der Kafka liest und Poes Langgedicht „Der Rabe“ auswendig kennt, ein sympathischer Verlierer. Ihn kennenzulernen, erweist sich als ein Lesevergnügen mit Nachhall. Man darf freudig gespannt sein, wohin uns Abdelaziz Baraka Sakin künftig noch führen wird.

Martin Oehlen

Abdelaziz Baraka Sakin: „Der Rabe, der mich liebte“, dt. von Larissa Bender, Klingenberg Verlag, 136 Seiten, 21,90 Euro.